Urheberrecht: Ab wann ein Musikstück urheberrechtlich geschützt ist! (BGH, Urteil vom 24. 1.1991 - I ZR 72/89)

Musikstücke genießen relativ schnell urheberrechtlichen Schutz. Handelt es sich bei dem Musikstück um ein Arrangement oder Sampling dann reicht es aus, wenn nach dem Gesamteindruck eine klare Abgrenzung zur Originalvorlage gegeben ist.


Amtlicher Leitsatz des BGH (Urteil vom 24. 1.1991 - I ZR 72/89):

Zur Urheberrechtsschutzfähigkeit der Bearbeitung eines (gemeinfreien) Volksliedes und zur Frage der unfreien Benutzung (Bearbeitung) einer solchen Bearbeitung.


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Das Urteil (BGH, Urteil vom 24. 1.1991 - I ZR 72/89) gibt es hier:

  • Tatbestand

Der Kläger ist Musiker, Komponist und Arrangeur. Er hat 1975 den Musiktitel "Brown Girl" geschaffen, der auf der Langspielplatte "Caribbean Rock" mit der Gruppe "Malcolm's Locks" erschienen ist. Der Beklagte ist Schallplattenproduzent. Er produzierte im Jahre 1978 mit der Gruppe "Boney M." den Titel "Brown Girl in the Ring", für den er auch als Texter und Komponist angegeben ist. Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte die Musik des Klägers in abhängiger Weise bearbeitet hat.

 

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen Urheberrechtsverletzung im Wege der Stufenklage auf Rechnungslegung und Gewinnherausgabe in Anspruch.

 

Er hat vorgebracht, sein Musiktitel stelle eine eigenschöpferische Bearbeitung des aus der Karibik stammenden Volksliedes "There's a Brown Girl in the Ring" dar. Er habe das Lied etwa 1974 durch den karibischen Musiker Malcolm Magaron kennengelernt. Dieser habe ihm die Musik auf der Gitarre vorgespielt und die ihm geläufige Textversion aufgeschrieben. Den Text habe er - der Kläger - wörtlich für seine Bearbeitung übernommen. Für die musikalische Fassung habe er sich Grundlagenmaterial besorgen lassen und danach eine eigene Version erarbeitet. Der Beklagte habe die wesentlichen Elemente seiner - des Klägers - Bearbeitung übernommen und diese lediglich in einen spezifischen Discosound umgesetzt.

 

Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Er hat eingeräumt, daß die Bearbeitung des Klägers hinsichtlich des Arrangements als persönliche geistige Schöpfung des Klägers anzusehen sei. Er hat jedoch bestritten, die Musik des Klägers in abhängiger Weise bearbeitet zu haben. Seine Version weise im schöpferischen Bereich wesentliche Abweichungen auf.

 

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens der Klage mit dem Antrag auf Rechnungslegung durch Teilurteil stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sich die Rechnungslegung auf die dem Beklagten aus dem Musikanteil seines Titels zugeflossenen Erträge erstrecke (OLG Hamburg ZUM 1989, 526).

 

Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 

I. Das Berufungsgericht hat Ansprüche des Klägers nach § 97 Abs. 1 UrhG bejaht, weil der Beklagte das Bearbeiterurheberrecht des Klägers verletzt habe. Dazu hat es ausgeführt: Die Bearbeitung des Volksliedes "Brown Girl" durch den Kläger stelle eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des § 3 Satz 1 UrhG dar. Dies folge aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen und werde vom Beklagten im Ergebnis auch nicht angezweifelt. Streit bestehe darüber, welche schöpferischen Elemente die Bearbeitung des Klägers im einzelnen aufweise. Nach dem überzeugenden Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen stimme die Fassung des Beklagten in fünf Punkten mit der des Klägers im schöpferischen Bereich überein: In der Struktur des ersten Durchgangs, im Melodieverlauf, im Tempo, im Übergang vom Sologesang auf den stärker beteiligten Instrumental-Background und vor allem im Mariacchi-Effekt. Diese Übereinstimmungen seien nicht mehr durch Zufall zu erklären. Der durch den Umfang der Übereinstimmungen begründete Anscheinsbeweis für eine Übernahme sei vom Beklagten nicht entkräftet worden.

 

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

 

Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß einen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Rechnungslegung nach § 97 Abs. 1 UrhG i.V. mit § 3 Satz 1, § 23 Satz 1 UrhG bejaht.

 

1. Es hat rechtsfehlerfrei angenommen, daß die Bearbeitung des Volksliedes "Brown Girl" durch den Kläger die für die Zubilligung eines urheberrechtlichen Bearbeiterschutzes im Sinne des § 3 Satz 1 UrhG erforderliche persönliche geistige Schöpfung darstellt.

 

In rechtlicher Hinsicht ist es dabei zutreffend davon ausgegangen, daß bei Musikwerken keine zu hohen Anforderungen an die schöpferische Eigentümlichkeit gestellt werden dürften. Für den Bereich des musikalischen Schaffens ist seit langem die sogenannte kleine Münze anerkannt, die einfache, aber gerade noch geschützte geistige Leistungen erfaßt. Es reicht daher aus, daß die formgebende Tätigkeit des Komponisten - wie bei der Schlagermusik regelmäßig - nur einen verhältnismäßig geringen Eigentümlichkeitsgrad aufweist, ohne daß es dabei auf den künstlerischen Wert ankommt (BGH, Urt. v. 3.2.1988 - I ZR 142/86, GRUR 1988, 812, 814 - Ein bißchen Frieden). Dies gilt sowohl für originär geschaffene Werke als auch für Bearbeitungen. Die Schutzvoraussetzungen sind insoweit die gleichen (vgl. BGH, Urt. v. 3.11.1967 - Ib ZR 123/65, GRUR 1968, 321, 324 - Haselnuß).

 

Das Berufungsgericht hat hierzu zunächst keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern lediglich angeführt, mit dem Sachverständigen sei die schöpferische Eigentümlichkeit der Bearbeitung des Klägers zu bejahen. Nähere Feststellungen hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang für entbehrlich gehalten, weil auch der Beklagte von der Schutzfähigkeit der Bearbeitung ausgehe und lediglich bezweifele, ob sich dieses Ergebnis auf sämtliche vom Sachverständigen berücksichtigten Parameter stützen lasse.

 

Die Revision wendet demgegenüber ein, es sei unerheblich, ob der Beklagte die Schutzfähigkeit in Frage gestellt habe oder nicht; er habe sie im Anschluß an das Privatgutachten F. ohnehin nur hinsichtlich des Arrangements angenommen. Richtig ist, daß die Frage der Urheberrechtsschutzfähigkeit des konkreten Werkes - anders als die einzelnen tatsächlichen Voraussetzungen - als solche von den Parteien nicht unstreitig gestellt werden kann. Denn es handelt sich insoweit um eine Frage der Rechtsanwendung, die nicht der Parteidisposition unterliegt. Gleichwohl ist das Vorgehen des Berufungsgerichts hier nicht zu beanstanden, weil die erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen in anderem Zusammenhang getroffen worden sind, nämlich bei der Frage, ob Übereinstimmungen im schöpferischen Bereich bestehen (BU 10ff.).

 

Die Revision hält dies nicht für ausreichend und rügt, daß das Berufungsgericht keine Feststellungen zu der Frage getroffen habe, ob die Bearbeitung des Klägers auch eigenschöpferische Komponenten enthalte, hinsichtlich deren keine Übereinstimmungen bestünden. Die Rüge greift im Streitfall nicht durch. Allerdings setzt die Beurteilung der Frage der Nachbildung zunächst die Prüfung voraus, durch welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des als Vorlage benutzten Werkes bestimmt ist (BGH GRUR 1988, 812, 814 - Ein bißchen Frieden). Dabei werden in der Regel alle eigenschöpferischen Elemente einzubeziehen sein. Zwar ist grundsätzlich von den Übereinstimmungen im schöpferischen Bereich auszugehen (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1980 - I ZR 17/78, GRUR 1981, 267, 269 - Dirlada; BGH, Urt. v. 10.12.1987 - I ZR 198/85, GRUR 1988, 533, 535 - Vorentwurf II). Maßgebend ist jedoch - wie auch das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat (BU 14) - der Gesamteindruck. Gerade in Fällen der vorliegenden Art, in denen es um die Festlegung der Grenzen einer freien Bearbeitung der Bearbeiterfassung eines gemeinfreien Werkes geht und in denen der Schutzbereich der ersten Bearbeitung durch die Übernahme gemeinfreier Elemente ohnehin erheblich eingeengt ist, kommt es auf eine umfassende Beurteilung aller das Werk prägenden Gestaltungsmerkmale an. Anders als die Revision meint, fehlt es daran im Streitfall aber nicht. Denn das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der Frage, welche Übereinstimmungen die sich gegenüberstehenden Bearbeitungen der Parteien aufweisen, zugleich die wesentlichen eigenschöpferischen Elemente, die die Bearbeiterfassung des Klägers prägen, herausgestellt. Es ist - gestützt auf das Sachverständigengutachten - zu dem Ergebnis gelangt, daß zwischen beiden Bearbeitungen in sechs Punkten Übereinstimmungen bestehen, von denen fünf im schöpferischen Bereich der Kläger-Fassung liegen (vgl. nachfolgend unter II. 2.). Diese eigenschöpferischen Elemente der Kläger-Fassung sind weitgehend mit denen identisch, in denen der Sachverständige unter dem Gesichtspunkt der musikalischen Form, der Melodik, der Rhythmik, des Tempos, der Harmonik, des Textes und des Arrangements eine persönliche geistige Schöpfung des Klägers bejaht hat (vgl. S. 10ff. des ersten Gutachtens, das der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten und bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht im wesentlichen aufrechterhalten hat). Aus dieser Untersuchung des Sachverständigen, die sich auf die Frage der eigenschöpferischen Bearbeitung insgesamt - also unabhängig von bestehenden Übereinstimmungen mit der Beklagten-Fassung - erstreckt, ist im Berufungsurteil lediglich der Text, der in diesem Verfahren ohnehin keine Rolle spielt, und der Bereich der Rhythmik, in dem keine wesentlichen Übereinstimmungen festgestellt worden sind, unerörtert geblieben. Aus dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen des Berufungsgerichts ist jedoch zu entnehmen, daß es auch den zuletzt genannten Gesichtspunkt in seine Betrachtungen einbezogen hat. Denn es schließt sich ausdrücklich dem Sachverständigengutachten an, soweit es zu dem Ergebnis gelangt, "daß die Bearbeitung des Klägers in ihrer Gesamtheit schöpferische Eigentümlichkeit verrät" und daß "der Gesamteindruck auf dem Zusammenspiel verschiedener Elemente beruht" (BU 14).

 

Auch der weitere Einwand der Revision, der gerichtliche Sachverständige, dem das Berufungsgericht gefolgt sei, habe die gebotene vergleichende Betrachtung der Kläger-Fassung mit den vorbekannten Traditional-Fassungen (Jekyll, Beckwith, Robertson und Exuma) unterlassen, greift nicht durch. Die von der Revision wiedergegebenen Äußerungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 1987 vor dem Landgericht, "Ich habe mich nur mit dem Vergleich H./F. befaßt" (GA III 636) und "Mit den Traditional-Fassungen habe ich die drei erwähnten Fassungen nicht verglichen" (GA III 641 oben) beziehen sich auf Einzelpunkte und geben das Anhörungsergebnis auch nicht vollständig wieder. So hat der Sachverständige an späterer Stelle auf weiteres Befragen erklärt (GA III 641 unten): "Ich habe die drei Traditional-Fassungen untereinander verglichen und mit den drei gedruckten Fassungen (F., H., Exuma)". Aus dem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 22. Februar 1985 ergibt sich überdies, daß der Sachverständige - entsprechend der Beweisfrage zu 1 - die Fassung des Klägers und die Exuma-Fassung vollständig miteinander verglichen hat (Gutachten S. 10ff.). Außerdem hat der Sachverständige alle Traditional-Fassungen in einem Notenvergleich gegenübergestellt (vgl. Gutachten S. 5-8) und erkennbar in seine anschließende Analyse einfließen lassen. Im übrigen hat die Revision nicht aufgezeigt, welche gemeinfreien Elemente vom Sachverständigen zu Unrecht als eigenschöpferisch angesehen worden seien. Soweit die Revision sich insoweit auf das vom Beklagten vorgelegte Privatgutachten F. bezieht, ist zu berücksichtigen, daß der gerichtliche Sachverständige darauf in seinem Ergänzungsgutachten und auch bei seiner Anhörung auf entsprechenden Vorhalt der Traditional-Fassungen eingegangen ist.

 

2. Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe das danach bestehende Bearbeiterurheberrecht des Klägers verletzt, indem er dessen Bearbeitung seinerseits in einer nach § 23 Satz 1 UrhG unfreien Weise bearbeitet habe, hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

 

a) Um die Grenze zwischen den urheberrechtlich relevanten Benutzungshandlungen (in Form der Vervielfältigung oder Bearbeitung) und der nach § 24 Abs. 1 UrhG zulässigen Verwertung eines in freier Benutzung geschaffenen Werkes zu ziehen, kommt es maßgebend auf die Überstimmungen im schöpferischen Bereich der Kläger-Fassung an. Diese Übereinstimmungen sind im Einzelfall konkret festzustellen und darauf zu überprüfen, ob sie nach den Regeln des Anscheinsbeweises einen Rückschluß darauf zulassen, daß der Komponist des jüngeren Werkes das ältere Werk benutzt, d.h. gekannt und bewußt oder unbewußt bei seinem Werk darauf zurückgegriffen hat, wobei weitgehende Übereinstimmungen in der Regel die Annahme nahelegen, daß der Urheber des jüngeren Werkes das ältere Werk benutzt hat (BGH GRUR 1988, 812, 814 - Ein bißchen Frieden m.w.N.).

 

Welche Anforderungen im Einzelfall zu stellen sind, um den Abstand zwischen zwei Werken zu ermitteln, hängt von der Gestaltungshöhe des als Vorlage benutzten Werkes ab. Je auffallender die Eigenart des benutzten Werkes ist, um so weniger werden dessen übernommene Eigenheiten in dem danach geschaffenen Werk verblassen. Umgekehrt gilt, daß ein Werk von geringer Eigenart eher in dem nachgeschaffenen Werk aufgeht als ein Werk besonderer Eigenprägung (vgl. BGH GRUR 1981, 267, 269 - Dirlada m.w.N.).

 

An diese Grundsätze hat sich das Berufungsgericht gehalten.

 

b) Die Revision beanstandet ohne Erfolg, das Berufungsurteil lasse die notwendigen Feststellungen zum Schutzbereich der Bearbeitung des Klägers vermissen. Sie meint, das Berufungsgericht habe sich insoweit nur auf die Frage der Schutzfähigkeit beschränkt. Sie übersieht dabei, daß der Schutzbereich eines Werkes durch die die Schutzfähigkeit begründenden eigenschöpferischen Elemente und deren Eigentümlichkeitsgrad bestimmt wird.

 

Eigenschöpferische Züge hat das Berufungsgericht - dem Sachverständigen folgend - in fünf Bereichen festgestellt. Die Ausführungen dazu liegen weitgehend auf tatrichterlichem Gebiet. Die Revision hat einen revisiblen Rechtsfehler nicht aufgezeigt.

 

aa) Einen gewissen - wenn auch geringen - Eigentümlichkeitsgrad hat das Berufungsgericht zunächst in der Struktur des ersten Durchganges gesehen, die nicht vorgegeben sei. Es hat sich insoweit auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt, der ausgeführt hat, die Eigenständigkeit der Bearbeitung zeige sich unter dem Aspekt der musikalischen Gesamtform sehr deutlich. Statt eines Vor- und eines Nachspiels, die beide der rhythmischen Vorgabe dienen, habe der Kläger Originaltonbandaufzeichnungen von sprechenden Jamaikanern ausgewählt und blende sich mit diesem akustischen Ereignis ein bzw. aus. Der erste Durchgang umfasse bei ihm vier komplette Hauptteile. Damit verzichte er auf einen B-Teil und ein Zwischenspiel von vier Takten, wie es die Exuma-Fassung kennzeichne.

 

Mit dem Einwand des Beklagten, diese Betrachtungsweise sei sehr formalistisch, hat sich das Berufungsgericht hinreichend auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, daß Strukturfragen ihrem Wesen nach stets formaler Natur seien. Anders als die Revision meint, hat das Berufungsgericht im übrigen eine gewisse Individualität gerade auch im ersten Durchgang und nicht nur in der Gesamtfassung gesehen (BU 11 oben).

 

bb) Zum Melodienverlauf hat das Berufungsgericht ausgeführt, in Auseinandersetzung mit den Einwänden des Beklagten und dem Privatgutachten F. habe der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten bestätigt, daß das Eigenschöpferische angesichts der folkloristischen Vorlage zwar nicht besonders ausgeprägt sei. Gleichwohl habe er ausdrücklich und mit überzeugenden Gründen an der Schutzfähigkeit der Melodienfassung des Klägers festgehalten und dies nach intensiver Erörterung im Termin vor dem Landgericht bekräftigt.

 

Die Revision bringt demgegenüber vor, das Berufungsgericht habe übersehen, daß der Sachverständige die von ihm als wesentlich angesehene Punktierung nicht der streitgegenständlichen Schallplattenaufnahme, sondern dem Notendruck entnommen habe. Sie zeigt jedoch nicht auf, welche Schlußfolgerungen sich daraus ergeben sollen und läßt überdies unberücksichtigt, daß sich der Sachverständige im weiteren Verlauf seiner Anhörung näher zur Frage der Punktierung geäußert hat. Soweit die Revision dem Melodienverlauf beim Kläger deshalb jede Individualität absprechen will, weil die Fassung weitgehend mit der Exuma-Fassung identisch sei, beachtet sie nicht genügend, daß der Sachverständige in seinem ersten Gutachten (S. 10f.) durchaus Unterschiede - wenn auch geringe - aufzeigt. Angesichts der geringen Anforderungen an die Schutzfähigkeit im Bereich der Musik und des Umstandes, daß bei der Bearbeitung eines in vielen Versionen überlieferten Volksliedes im melodischen Bereich ohnehin nur wenig Spielraum für individuelle Gestaltungen bleibt, können auch geringe Abweichungen schon relevant sein. Die Wertung des Berufungsgerichts ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

 

cc) Hinsichtlich des Tempos ist das Berufungsgericht dem Sachverständigen darin gefolgt, daß dies ein Parameter sei, der die Bearbeitung des Klägers als eigenständig erscheinen lasse. Der Kläger habe ein Tempo mit MM = Viertel 96 gewählt, das z.B. deutlich langsamer als das der Exuma-Fassung, aber schneller als das bei der überlieferten Jekyll-Fassung für das Originaltempo sei, das der Sachverständige mit MM = Viertel 88 angenommen habe. Diese Angabe steht der Annahme der Revision entgegen, der Kläger habe die Vorgabe der Überlieferung übernommen.

 

dd) Schließlich hat das Berufungsgericht mit dem Sachverständigen auch im Arrangement unter zwei Gesichtspunkten eigenschöpferische Züge bejaht, einmal beim Übergang vom Sologesang auf den stärker beteiligten Instrumental-Background und sodann beim Mariacchi-Effekt, d.h. bei der Intensivierung des Klanges durch den von Trompeten bestimmten Mariacchi-Sound. Insoweit lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts einen Rechtsfehler nicht erkennen. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß der Übergang vom Sologesang auf eine stärker hervortretende Instrumentierung ein übliches Stilmittel ist. Dies schließt es indessen nicht aus, daß die Art, wie dieses Stilmittel konkret eingesetzt wird, etwas Eigenschöpferisches enthalten kann. Die Revision weist weiter darauf hin, daß der Sachverständige hinsichtlich der Instrumentierung in seinem Ergänzungsgutachten (S. 12) und bei der mündlichen Anhörung (GA III 638) Einschränkungen gemacht habe. Soweit ersichtlich ist, betreffen diese aber die Beklagten-Fassung und nicht die des Klägers.

 

Zusammenfassend ist zwar davon auszugehen, daß die angeführten einzelnen Elemente für sich gesehen teilweise nur eine geringe Individualität erkennen lassen. Dem Berufungsgericht ist aber darin beizupflichten, daß der Gesamteindruck, auf den es ankommt, auf dem Zusammenspiel verschiedener Elemente beruht. Es hat ihn nicht als Summe einzelner Elemente angesehen, sondern als Resultante. Die Analyse der einzelnen Elemente hat es zutreffend als Aufhellung dessen verstanden, was im einzelnen zu dem Gesamteindruck beigetragen hat. Das Berufungsgericht hat dabei beachtet, daß bei der Frage der Bearbeitung eines gemeinfreien Werkes in der Regel die Art der musikalischen Verarbeitung mit den dabei verwendeten Stilmitteln in den Vordergrund treten wird und daß allein schon in der Instrumentierung und Orchestrierung eine schutzfähige Leistung liegen kann (vgl. BGH GRUR 1968, 321, 324 - Haselnuß). Deshalb hat es auch zutreffend angenommen, daß selbst ein Arrangement, das sich üblicher Stilmittel bedient, eigenschöpferisch sein kann, weil in der Verknüpfung jene schöpferische Gestaltung liegen kann, die gerade bei Schlagermusik nicht übermäßig groß sein muß, um sie trotzdem in den Schutzbereich des Urheberrechts zu bringen; insbesondere dann, wenn - wie hier - das übliche Stilmittel verwendende Arrangement nicht das einzige, den Gesamteindruck prägende Element ist.

 

c) Auch die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Beklagten-Fassung in den vorstehend unter II. 2.b angeführten eigenschöpferischen Elementen - von den vom Sachverständigen hinsichtlich der Instrumentierung gemachten Einschränkungen abgesehen - weitgehend mit der Bearbeitung des Klägers übereinstimmt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellung liegt auf tatrichterlichem Gebiet und ist einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nur beschränkt zugänglich. Ein revisibler Rechtsfehler wird von der Revision nicht aufgezeigt.

 

Der Einwand der Revision, das Berufungsgericht hätte mangels gegenteiliger Feststellungen das Vorbringen des Beklagten als richtig unterstellen müssen, seine Fassung vermittle einen völlig anderen Höreindruck, greift nicht durch. Das Berufungsgericht hat zwar nicht ausdrücklich auch auf den Höreindruck abgestellt. Es ist jedoch davon auszugehen, daß dieser den Gesamteindruck mitgeprägt hat. Denn laut Sitzungsniederschrift vom 25. Mai 1987 hat das Berufungsgericht die sich gegenüberstehenden Musikfassungen der Parteien angehört.

 

Ohne Erfolg rügt die Revision auch, das Berufungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, inwieweit die angenommenen Übereinstimmungen in der Bearbeitung des Beklagten aufgegangen bzw. verblaßt seien. Zu derartigen Feststellungen bestand vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus keine Veranlassung, weil es die übereinstimmenden - notwendig schöpferischen - Elemente in ihrer Gesamtheit als die Bearbeitung des Klägers prägend angesehen hat.

 

d) Schließlich hat das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß angenommen, die festgestellten Übereinstimmungen würden den Anscheinsbeweis rechtfertigen, daß die Bearbeitung des Klägers dem Beklagten als Vorlage gedient hat. Es hat dazu ausgeführt, daß in diesem Zusammenhang auch jene Übereinstimmungen bedeutsam seien, die nicht in den Schutzbereich der Bearbeitung des Klägers fielen, wie die chromatische Rückung im dritten Durchgang; denn daß der Beklagte eine solche Rückung habe verwenden dürfen, ohne in die Rechte des Klägers einzugreifen, habe nichts mit der Wahrscheinlichkeit zu tun, mit der zwei Komponisten unabhängig voneinander neben mehreren anderen Übereinstimmungen außerdem auch noch dasselbe Stilmittel im dritten Durchgang verwenden würden. Aus diesem Grunde stärke es als weiteres Indiz den sich bereits aus den rechtlich relevanten Übereinstimmungen ergebenden Anschein. Eine ähnliche Überlegung gelte für die Melodie. Der vom Kläger insoweit beanspruchte Schutzbereich möge außerordentlich klein sein. Eine ganz andere Frage sei es jedoch, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Beklagte als Bearbeiter des Volksliedes gerade auf eine Gestaltung der Melodie verfalle, die eine "Note-für-Note-Analogie" zu der in der Bearbeitung des Klägers verwendeten darstelle.

 

Diese auf tatrichterlichem Gebiet liegenden Feststellungen lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die Ansicht der Revision, von wesentlichen Übereinstimmungen könne keine Rede sein, stellt eine eigene Würdigung dar, mit der sie revisionsrechtlich nicht gehört werden kann. Soweit die Revision auch insoweit auf einen grundsätzlich anderen Höreindruck der Beklagten-Fassung abstellen will, ist dem entgegenzuhalten, daß - wie oben unter II. 2.c dargelegt - das Berufungsgericht eine Anhörung vorgenommen und das Ergebnis im Rahmen seiner Gesamtwürdigung berücksichtigt hat.

 

e) Letztlich hat das Berufungsgericht auch frei von Rechtsfehlern angenommen, der Beklagte habe den Anscheinsbeweis nicht entkräftet oder wenigstens erschüttert. Es hat aus dem Ausmaß der Übereinstimmungen zwischen den Fassungen der Parteien geschlossen, daß die Übereinstimmungen nicht mehr durch Zufall zu erklären seien. Es ist dabei zu Recht von dem Erfahrungssatz ausgegangen, daß angesichts der Vielfalt der individuellen Schaffensmöglichkeiten auf künstlerischem Gebiet eine weitgehende Übereinstimmung von Werken, die auf selbständigem Schaffen beruhen, nach menschlicher Erfahrung nahezu ausgeschlossen erscheint (vgl. BGH GRUR 1988, 812, 814 - Ein bißchen Frieden).

 

Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht hätte den Anscheinsbeweis angesichts der Vorgabe der eingesetzten Stilmittel, die für sich allein ohnehin nicht schutzfähig seien, als erschüttert ansehen müssen, begibt sie sich auf das ihr grundsätzlich verschlossene Gebiet tatrichterlicher Würdigung. Auch insoweit werden keine revisiblen Rechtsfehler aufgezeigt.

Quelle: GRUR 1991, 533-535 (Leitsatz und Gründe)



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