Urheberrecht: Was ist bei der Einbindung eines fremden Musikstücks in eine neuerschaffene Komposition zu beachten ? (BGH, Urteil vom 26.9.1980 - I ZR 17/78)

Wird für eine musikalische Komposition ein anderes Musikwerk als Vorlage benutzt, so ist dies grundsätzlich zulässig, wenn die Vorlage in der Eigenart des neu erschaffenen Musikstücks aufgeht. Hieran sind keine sonderlich hohen Anforderungen zu stellen, so dass relativ schnell Urheberrechtsschutz zu gewährt ist. Dies gilt umso mehr, wenn die Vorlage selbst nur eine geringe Eigenart aufweist.


Amtlicher Leitsatz des BGH (Urteil vom 26.9.1980 - I ZR 17/78):

Zur Frage des urheberrechtlichen Schutzes eines Werkes der Unterhaltungsmusik ("Dirlada").


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Das Urteil (BGH, Urteil vom 26.9.1980 - I ZR 17/78) gibt es hier:

  • Tenor
  1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 10. November 1977 aufgehoben.
  2. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  • Tatbestand

Die Klägerin hat für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland die ausschließlichen Nutzungsrechte an dem Lied "Dirlada" des Griechen Panztelis G. erworben.

 

Im Verlag der Beklagten zu 1 ist später der Schlager "Loop di Love" erschienen. Der Text stammt von Dieter D. Die Musik hat der Beklagte zu 3 komponiert. Der Beklagte zu 2 hat im Auftrag der Beklagten zu 1 eine Klavierbearbeitung des Titels vorgenommen.

 

Beide Musikstücke sind aus einem - mehr einem Sprechgesang ähnelnden. - jeweils eintaktigem Wechselgesang zwischen Solist und Chor mit Instrumentalbegleitung gestaltet. "Dirlada" enthält einen griechischen, die Beklagtenkomposition einen englischen Text. Die Musik ist jeweils um die Tonfolge "a - h - cis" gebildet. Sie ist bei beiden Stücken nach einem insbesondere bei Schlagern gebräuchlichen Schema aufgebaut. Die beiden ersten Takte enthalten die die Melodien kennzeichnende Phrase. Sie werden in den Takten 3 und 4 wiederholt. In den Takten 5 und 6 wird die Phrase melodisch mit Änderung der Harmonie fortgeführt, in den Takten 7 und 8 erfolgt die Rückführung zur Ausgangsharmonie bei gleicher Phrase wie in den Takten 1 und 2. Die Takte 9 bis 12 stellen den Mittelteil mit Melodiefortführung unter erneuter Harmonieveränderung dar, während die Takte 13 bis 16 im wesentlichen wieder den Takten 1 bis 4 entsprechen. Die Harmonienfolge stimmt in beiden Musikstücken weitgehend überein.

 

Die Klägerin hat vorgetragen, bei der Komposition der Beklagten sei "Dirlada" in unzulässiger Weise benutzt worden. Zum einen sei die Melodie erkennbar entnommen. Zum anderen handele es sich aber auch um eine abhängige Bearbeitung. Der Gesamteindruck werde wesentlich durch die Form und die Verarbeitungsweise geprägt, die bei beiden Musikstücken weitgehend übereinstimmten. Die Klägerin stützt sich insoweit auf das von ihr überreichte Privatgutachten des Professors de la M.

 

Mit der Klage verlangt die Klägerin Auskunft und Rechnungslegung über den durch die Verwertung des Titels "Loop di Love" erzielten Gewinn und Feststellung, daß die Beklagten auch jeden zukünftigen Gewinn an sie herauszugeben hätten.

 

Die Beklagten haben bestritten, daß der Beklagte zu 3 das Lied "Dirlada" gekannt und seiner Komposition zugrunde gelegt habe. Sie räumen allerdings ein, daß er an gemeinfreie griechische Volksmusik angeknüpft habe (u.a. an ein Schwammtaucherlied). Darüber hinaus haben sie die Ansicht vertreten, daß "Dirlada" nicht schutzfähig sei. Das Lied enthalte keine eigenschöpferischen Elemente. Die verwendete Tonfolge gehöre zudem zum musikalischen Allgemeingut. Schließlich sei auch die Ähnlichkeit beider Musikstücke gering. Die wenigen Übereinstimmungen seien unerheblich.

 

Das Landgericht hat ein Gutachten zu der Frage eingeholt, ob der Beklagte zu 3 wesentliche Teile seiner Melodie dem Lied "Dirlada" entnommen habe. Der Sachverständige Rechtsanwalt F. hat die Frage verneint. Daraufhin hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß die wenigen Übereinstimmungen angesichts des geringen Originalitätsgrades der Melodie von "Dirlada" nicht ausreichten, um eine Entnahme zu bejahen. Ohnehin sei die Schutzfähigkeit der Melodie wegen der Simplizität des Themas und der von der Beklagten vorgelegten Vorbenutzung fraglich. Weitere schutzfähige Elemente, mit denen sich das Gutachten de la M. auseinandersetze, enthalte "Dirlada" nicht. Die formale Gestaltung, die Harmonik und der Wechselgesang zwischen Solo und Chor gehöre zum Allgemeingut. Der Verarbeitungsweise fehle es an der notwendigen Eigentümlichkeit.

 

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich ihre Revision, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Die Beklagten beantragen, 

 

die Revision zurückzuweisen.

  • Entscheidungsgründe

I. 

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Klägerin sei nicht in ihren Nutzungsrechten verletzt worden. Es verneint sowohl eine abhängige Bearbeitung (§ 23 UrhG) als auch eine Melodieentnahme (§ 24 Abs. 2 UrhG) aus subjektiven Gründen und führt dazu aus: Die Klage könne nur dann Erfolg haben, wenn der Beklagte zu 3 bei seiner Komposition das Lied "Dirlada" gekannt und bewußt oder unbewußt darauf zurückgegriffen habe. Dies habe die Klägerin nicht bewiesen. Nach der Aussage des von ihr benannten Zeugen D., die das Berufungsgericht näher gewürdigt hat, habe "Dirlada" wohl nicht zugrunde gelegen. Außerdem sei nach dem Vorbringen der Parteien davon auszugehen, daß die Platte mit dem Titel "Dirlada" seinerzeit in der Bundesrepublik nicht auf dem Markt gewesen sei. Auch nach den Regeln des Anscheinsbeweises könne nicht gefolgert werden, daß der Beklagte zu 3 "Dirlada" - bewußt oder unbewußt - benutzt habe. Dazu wären weitgehende Übereinstimmungen erforderlich. Diese seien aber weder bei einem Vergleich der Notenbilder noch der beiderseitigen Aufnahmen feststellbar. Gestützt auf das Sachverständigengutachten F. gelangt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Beklagte zu 3 vermutlich keine wesentlichen Teile seiner Melodie dem Lied "Dirlada" entnommen habe. In diesem Zusammenhang verneint es die - vom Sachverständigen unterstellte - Schutzfähigkeit der klägerischen Melodie. Abschließend führt das Berufungsgericht aus, daß beide Musikstücke auch in ihrer Gesamtwirkung nicht übereinstimmten.

 

Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

 

II. 

Allerdings ist die tatrichterliche Feststellung, daß die Klägerin eine Kenntnis des Beklagten zu 3 nicht bewiesen habe, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, daß im Berufungsurteil ein gewisser Widerspruch in der Aussage des Zeugen D. nicht klar zum Ausdruck kommt. Der Zeuge hat seine anfängliche Erklärung, daß bei der Aufnahme der Komposition der Beklagten die Platte mit dem Titel "Dirlada" keineswegs vorgelegen habe, zeitlich später - nach dem Vorspielen von "Dirlada" - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts wieder abgeschwächt, indem er bekundet hat, bei der Aufnahme hätten sie etwas ähnliches gehabt, ob es "Dirlada" gewesen sei, wisse er nicht. Die Feststellung, "Dirlada" habe der Komposition der Beklagten zugrunde gelegen, läßt sich deshalb nicht treffen. Vielmehr kann weder positiv noch negativ festgestellt werden, ob der Beklagte zu 3 die Platte gekannt hat.

 

III. 

Das Berufungsgericht hat sodann - bei dem von ihm gewählten subjektiven Ausgangspunkt folgerichtig - geprüft, ob sich Übereinstimmungen feststellen lassen, die nach den Regeln des Anscheinsbeweises (vgl. dazu BGH GRUR 1971, 266, 268 - Magdalenenarie) einen Rückschluß darauf zulassen, daß der Beklagte zu 3 als der Urheber des jüngeren Werkes das ältere klägerische Werk benutzt hat. Es hat dabei zutreffend erkannt, daß nur die im Schutzbereich des älteren Werkes liegenden Übereinstimmungen rechtlich bedeutsam sind; und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt einer abhängigen Bearbeitung (§ 23 UrhG) des Liedes "Dirlada" als Ganzes als auch einer Melodieentnahme (§ 24 Abs. 2 UrhG).

 

1. 

Das Berufungsgericht hat die Schutzfähigkeit des Liedes "Dirlada" in seiner Gesamtheit bejaht, eine abhängige Bearbeitung indessen verneint.

 

a)

Zur Schutzfähigkeit hat das Berufungsgericht zusammenfassend bemerkt, der Klägerin möge durchaus eingeräumt werden, daß die Komposition "Dirlada" vom Musikalischen her in der Gesamtwirkung aller Einzelelemente urheberrechtsschutzfähig sei. Hierzu hat es an anderer Stelle ausgeführt, daß selbst die Einarbeitung allgemein bekannten, gemeinfreien Geistesgutes Urheberschutzfähig sein könne, wenn dadurch eine besondere, eigenschöpferische Wirkung und Gestaltung erzielt werde. Der urheberrechtliche Schutz erstrecke sich aber nicht auf die gemeinfreien Elemente, sondern beschränke sich von vornherein lediglich auf die charakteristische Gesamteigenart. Soweit auf gemeinfreies Melodiengut, auf gebräuchliche Harmonik und Verarbeitungsweise zurückgegriffen werde, seien die Grenzen eng zu ziehen. Professor de la M. verkenne in seinem Gutachten, daß insbesondere die Verarbeitungsweise zum gemeinfreien handwerklichen Können eines Komponisten gehöre. Die charakteristische Eigenart und damit die Schutzfähigkeit von "Dirlada" könne sicherlich nicht damit begründet werden, daß der Phrasenbeginn beim Vorsänger beweglich, der Schluß dagegen schwer und akzentuiert sei, während beim Chor Beginn und Ende eine viertel Note aufwiesen, so daß der Beginn und Schluß schwer seien.

 

Diese Ausführungen sind nicht frei von rechtlichen Bedenken.

 

Zwar stellt das Berufungsgericht zutreffend darauf ab, daß die klägerische Komposition eine schöpferische Eigentümlichkeit aufweisen müsse, um als persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG und damit als schutzfähiges Musikwerk anerkannt zu werden. Die schöpferische Eigentümlichkeit liegt bei Musikwerken in ihrer individuellen ästhetischen Ausdruckskraft. An den individuellen ästhetischen Gehalt dürfen allerdings nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Es reicht aus, daß die formgebende Tätigkeit des Komponisten - wie bei der Schlagermusik regelmäßig - nur einen geringen Schöpfungsgrad aufweist (vgl. BGH GRUR 1968, 321, 324 - Haselnuß). Auf den künstlerischen Wert kommt es dabei nicht an. Im Urheberrecht ist seit langem anerkannt, daß es hier die sogen, kleine Münze gibt, d.h. einfache, aber gerade noch geschützte geistige Schöpfungen. Diese Vorstellung bestand auch bei Erlaß des geltenden Urheberrechtsgesetzes. In der Begründung zu § 2 des Regierungsentwurfs wird ausdrücklich hervorgehoben, daß nach wie vor auch Werke von geringem schöpferischen Wert, die sogen, kleine Münze, Schutz genießen (BT-Drucks. IV/270 S. 38). Das Berufungsgericht hat im Grundsatz jedenfalls auch nicht verkannt, daß die rein handwerkliche Tätigkeit, die kein geistiges Schaffen ist, und alle gemeinfreien Elemente außerhalb des Schutzbereichs liegen; so die formalen Gestaltungselemente, die auf den Lehren von der Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen oder sich im Wechselgesang zwischen Solist und Chor ausdrücken.

 

Rechtlichen Bedenken unterliegt jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß ganz allgemein die Verarbeitungsweise dem gemeinfreien handwerklichen Können eines Komponisten zuzurechnen sei. Damit setzt sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu der Entscheidung des Senats vom 3. November 1967 (GRUR 1968, 321 ff - Haselnuß). Dort ist die schutzfähige Leistung vor allem in der Durchführung der Instrumentierung und Orchestrierung erblickt worden. Das Berufungsgericht hat insoweit übersehen, daß die konkrete Formgestaltung auch durch die Verarbeitungsweise mitgeprägt wird und daß sich die schöpferische Eigenart eines Werkes auch nach dem in dieser Formgebung zum Ausdruck gelangten individuell-ästhetischen Gesamteindruck bestimmt. Die formgebende Leistung einer musikalischen Darbietung wird schutzfähig, wenn sie über die handwerksmäßige Anwendung musikalischer Lehren hinausgeht. Das kann auch bei einem Wechselgesang der Fall sein, wenn er eine individuelle musikalische Ausdrucksart besitzt. Ob dies vorliegend bei den fröhlichen, mehr einem Sprechgesang (mit textlichen Lautmalereien) gleichenden Wechselgesängen zwischen Solist und Chor (so Gutachten F. S. 9 und 10) bei dem Lied "Dirlada" der Fall ist, bedarf noch einer tatrichterlichen Würdigung, für die eine Sachverständigenhilfe unerläßlich erscheint. Dies gilt insbesondere auch für die im Privatgutachten de la M. (S. 4 f) herausgestellte - auf einer besonderen Verarbeitungsweise beruhende - Charakteristik im Wechselgesang. Schließlich können aber auch Rhythmus und Aufbau der Tonfolgen als Elemente der Tongestaltung für die Ausdruckskraft durchaus bedeutsam sein, vor allem aber die Melodie. Entscheidend für die Frage der Schutzfähigkeit ist, ob der auf dem Zusammenspiel all dieser Elemente beruhende Gesamteindruck den erforderlichen Eigentümlichkeitsgrad ergibt. Die Beurteilung bemißt sich dabei nach der Auffassung der mit musikalischen Fragen einigermaßen vertrauten und hierfür aufgeschlossenen Verkehrskreise.

 

b)

Da das Berufungsgericht die Verarbeitungsweise der Komposition "Dirlada" rechtsirrig nicht im Rahmen der schöpferischen Eigenart mitberücksichtigt hat, hat es die sich gegenüberstehenden Kompositionen auch nicht darauf überprüft, ob insoweit urheberrechtlich relevante Übereinstimmungen bestehen. Das Berufungsurteil konnte danach keinen Bestand haben. Für die hier noch erforderliche tatrichterliche Würdigung wird sich das Berufungsgericht nicht auf das bereits vorliegende Sachverständigengutachten F. stützen können. Der Sachverständige hat sich der eng begrenzten Beweisfrage entsprechend nur zur Melodieentnahme geäußert. Er hat mehrfach betont, daß die von ihm weiter angesprochenen Elemente der Komposition lediglich für die Beurteilung der Frage irrelevant sind, "ob eine Melodie -Entnahme" vorliegt (so z.B. Seite 9 des Gutachtens). Das Berufungsgericht konnte daher den Ausführungen des Sachverständigen, der sich allein mit der Frage der Melodieentnahme beschäftigt hat und die Urheberrechtsschutzfähigkeit der Komposition "Dirlada" lediglich unterstellt, ihre eigenschöpferische Gestaltung und deren Grundlage aber nicht untersucht hat, nicht entnehmen, daß die Komposition der Beklagten von der der Klägerin nicht abhängt. Die Klägerin hat schon in den Vorinstanzen zu Recht beanstandet, daß von einer Beweiserhebung zu den hierfür maßgebenden Fragen abgesehen worden ist. Allerdings kommt nicht - wie sie meint - die Einholung eines Obergutachtens in Betracht. Denn es liegt insoweit bislang überhaupt kein gerichtliches Sachverständigengutachten vor.

 

2. 

Auch die Begründung, mit der das Berufungsurteil - unabhängig von der zu Ziff. 1 erörterten Frage des Einflusses der Verarbeitungsweise des Werkes - die Schutzfähigkeit der Melodie des Liedes "Dirlada" und darüber hinaus auch wesentliche Übereinstimmungen verneint, hält den Revisionsangriffen nicht stand.

 

a)

Das Berufungsgericht weist unter Berufung auf das Sachverständigengutachten F. darauf hin, daß Schlager zum großen Teil keine hochgradige Eigenart besäßen. Sie wollten den Hörer nicht mit Ungewohntem konfrontieren, sondern ihm Vertrautes bieten. Deshalb seien sie dem musikalischen Gemeingut sowohl melodisch als auch harmonisch eng verbunden. Aus diesem Grunde könne die Klägerin nicht darauf verweisen, daß die eigenschöpferische Leistung des Komponisten G. gerade darin liege, eine einfache Melodienfolge geschaffen zu haben, der eine starke innere Kraft innewohne. Auch die Erwägungen der Klägerin, daß der Schlager der Beklagten zu einem Erfolgshit geworden sei, und daß verschiedene Evergreens wie z.B. "tea for two" eine Melodie nur aus wenigen Noten besäßen, reiche nicht zur Begründung einer eigenschöpferischen Leistung. Denn hierfür sei Voraussetzung, daß der ästhetische Gehalt des Werkes einen solchen Grad erreicht haben müsse, daß nach der im Leben herrschenden Anschauung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauung einigermaßen vertrauten Kreise von einer "künstlerischen" Leistung gesprochen werden könne. Bei einfachen, aus wenigen Noten bestehenden Melodien könne eine eigenschöpferische Leistung allein mit der Tonfolge in der Regel nicht gerechtfertigt werden, zumal die hier fragliche Tonfolge "h - cis - a" bereits Gegenstand zahlloser Melodien des musikalischen Gemeingutes sei. Wenn der Sachverständige F. gleichwohl die Schutzfähigkeit der klägerischen Melodie unterstellt habe, so sei dies lediglich zugunsten der Klägerin geschehen.

 

Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) verkannt hat. Das Berufungsgericht hat die Schutzfähigkeit der Melodie verneint, ohne den Streitstoff voll auszuschöpfen. Das bloße Anhören der Schallplatte reichte vorliegend zu einer Entscheidung nicht aus. Die Beurteilung der Frage, ob eine Melodie als persönliche geistige Schöpfung anerkannt werden kann, setzt - auch im Bereich des Schlagers - in der Regel musikalischen Sachverstand voraus. Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, ob das Berufungsgericht über die erforderliche Sachkunde verfügte. Auf das Sachverständigengutachten F., dessen Darlegungen das Berufungsgericht weitgehend übernommen hat, kann sich das angefochtene Urteil nicht stützen. Der Sachverständige stellt eingangs seines Gutachtens (S. 2 oben) klar, daß er die Schutzfähigkeit der klägerischen Melodie unterstelle, da der Beweisbeschluß keine entsprechende Frage enthalte. Aus dem Gutachten lassen sich indessen entgegen der Annahme des Berufungsgerichts Anhaltspunkte entnehmen, die für eine Schutzfähigkeit der Melodie sprechen. So heißt es auf S. 8, daß die klägerische Melodie sowohl im Solo als auch im Chor eine gewisse Eigentümlichkeit dadurch aufweise, daß in Takt 1 die Abwärtstendenz vom cis über h nicht einfach zum a fortgeführt, sondern die Melodie im 5/8 zunächst zum cis zurückgeführt werde. Entsprechend und an rhythmisch gleicher Stelle, nämlich im dritten Viertel des Taktes, singe der Chor nicht nach a - h sofort cis, sondern einen Vorhalt in Form von h - cis. Dadurch erhalte die klägerische Melodie eine ästhetische Wirkung, die an fremdländische Folklore erinnere, die in dem uns vertrauten Volksliedgut jedenfalls nicht häufig auftrete. Diese Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen hat das Berufungsgericht unberücksichtigt gelassen. Sie lassen sich zudem mit der in dem von der Klägerin überreichten Privatgutachten de la M. vertretenen Ansicht vereinbaren, daß auch einfache Tonfolgen Originalität besitzen können. Das Berufungsgericht hat dies zwar nicht verkannt, gleichwohl aber nicht hinreichend gewürdigt. Es hat auch nicht das Vorbringen der Klägerin widerlegt, die einräumt, G. habe zwar eine einfache Melodienfolge geschaffen, ihr aber gleichwohl eine starke innere Ausdruckskraft beimißt.

 

b)

Zur Frage, ob die Übereinstimmungen im melodischen Bereich ausreichen, um den Anscheinsbeweis für eine Entnahme zu rechtfertigen, hat das Berufungsgericht - ohne eigene Begründung - auf das zu diesem Beweisthema ergangene gerichtliche Gutachten verwiesen. Die Revision rügt zu Recht, daß sich das Berufungsgericht ohne Sachverständigenhilfe mit den Ausführungen des Sachverständigen de la M. zur Frage einer metrischen Verschiebung auseiandersetzt. De la M. nimmt die Verschiebung anders vor als der Gutachter F. und kommt so zu einer völligen Übereinstimmung. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe mit Rücksicht auf die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten F. und das von ihr vorgebrachte Privatgutachten ein Obergutachten einholen müssen, ist allerdings unbegründet. Eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung eines Obergutachtens besteht nur ausnahmsweise (vgl. BGH MDR 1953, 605). Hier hätte es ausgereicht, dem Sachverständigen, der erkennbar über die nötige Sachkunde verfügt, zunächst einmal Gelegenheit zu einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme zu geben.

 

Werden bei der erneuten Prüfung wesentliche Übereinstimmungen festgestellt, so wird sich das Berufungsgericht mit dem Einwand der Beklagten auseinanderzusetzen haben, der Beklagte zu 3 habe sich an gemeinfreie griechische Volksmusik angelehnt.

 

IV. 

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht zu erwägen haben, ob es zweckmäßiger ist, einen objektiven Ausgangspunkt zu wählen. Die erforderliche vergleichende Beurteilung wird in aller Regel erst durch die Prüfung ermöglicht, durch welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit eines Werkes bestimmt wird (vgl. BGH GRUR 1980, 853, 854 - Architektenwechsel; auch GRUR 1976, 261, 263 - Gemäldewand). Die Festlegung des Schutzbereiches erleichtert den Blick auf die bestehenden Übereinstimmungen. Auf diese - und nicht auf die Verschiedenheiten - wird das Berufungsgericht sein Augenmerk zu richten haben. Sie bilden die Grundlage, um den Abstand zwischen zwei Werkstücken zu ermitteln (vgl. BGH GRUR 1960, 251, 253 - Mecki-Igel II; 1961, 635, 638 - Stahlrohrstuhl) und damit die Grenze zwischen einer zulässigen freien Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) und den urheberrechtlich relevanten Benutzungshandlungen (z.B. § 23 UrhG) zu ziehen.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine freie Benutzung vorliegt, darf nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Interesse eines ausreichenden Urheberschutzes grundsätzlich kein zu großzügiger Maßstab angelegt werden; einerseits soll dem Urheber nicht die für ihn unentbehrliche Möglichkeit genommen werden, Anregungen aus vorbestehendem fremden Werkschaffen zu übernehmen, andererseits soll er sich auch nicht auf diese Weise ein eigenes persönliches Schaffen ersparen (vgl. BGH GRUR 1965, 45, 47 - Stadtplan; 1971, 588, 589 - Disney Parodie; 1978, 305, 306 - Schneewalzer). Welche Anforderungen im einzelnen zu stellen sind, hängt von der Gestaltungshöhe des als Vorlage benutzten Werkes ab; denn je auffallender die Eigenart des benutzten Werkes ist, umso weniger werden dessen übernommene Eigenheiten in dem danach geschaffenen Werk verblassen (BGH GRÜR 1958, 500, 502 - Mecki-Igel). Aus diesem Grunde können aber auch umgekehrt keine zu großen Anforderungen gestellt werden, wenn das als Vorlage benutzte Werk nur einen geringen eigenschöpferischen Gehalt besitzt; ein Werk geringerer Eigenart geht eher in dem nachgeschaffenen Werke auf als ein Werk besonderer Eigenprägung (vgl. BGH GRÜR 1958, 402, 404 - Lili Marleen).

 

V. 

Auf die Revision der Klägerin war danach das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Berufungsgericht zurückzuweisen.

Quelle: GRUR 1981, 267



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